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Experiment
Experimentelle Formen
Experimentelle Formen in der Kleinkindforschung
Im Rahmen der Kleinkindforschung unterscheidet man folgende experimentelle Formen (Lohaus, 2007):
- Präferenzparadigma: Beim Präferenzparadigma werden zwei oder mehr Reize (Stimuli) dargeboten und aus der Reaktion des Kleinkindes auf seine Reizpräferenz geschlossen. Beispielsweise könnte man Säuglingen verschiedene Gesichter präsentieren und ihre Blickzuwendungen erfassen. Auch auditive Stimuli können eingesetzt werden, in denen etwa verschiedene Stimmen (z.B. der Mutter oder einer fremden Person) vorgespielt werden und die Saugreaktion der Kinder in Abhängigkeit dieser Stimmen aufgezeichnet werden.
- Habituations-Dishabituations-Paradigma: Werden die Reize nicht gleichzeitig (simultan) wie beim Präferenzparadigma, sondern nacheinander (sukzessiv) präsentiert, spricht man vom Habituations-Dishabituations-Paradigma. Nach Darbietung mehrerer, bereits bekannter Stimuli (z.B. verschiedene Katzenfotos) wird zunächst eine Reizgewöhnung (Habituation) des Kindes vermutet. Erfolgt nun die Präsentation eines unvertrauten Reizes (z.B. eines Hundefotos), so kann man aufgrund einer Orientierungsreaktion des Säuglings annehmen, dass dieser den neuen Stimulus von den bereits vertrauten Reizen unterscheiden kann. Das Kind betrachtet etwa den neuen, unbekannten Reiz länger als die zuvor dargebotenen Reize.
- Erwartungs-Induktions-Paradigma: Bei diesem Paradigma wird ebenfalls eine Reizserie dargeboten, wobei hier eine Beziehung zwischen den Reizen hergestellt (induziert) werden soll. Zum Beispiel präsentiert man Säuglingen geometrische Objekte im oberen Bildschirmbereich. Immer wenn ein Kreis erscheint, wird kurz darauf im unteren Bildschirmbereich ein weiterer Stimulus dargeboten. Die Kleinkinder sollen diesen Zusammenhang entdecken und den zweiten Reiz im Laufe der Untersuchung antizipieren. In diesem Fall sollten sie vorab in Richtung des erwarteten Reizes blicken. Die dargebotenen Zusammenhänge können auch abhängig von eigenen Handlungen sein, wie etwa eigene Beinbewegungen und einer daraufhin auftretenden Bewegung eines Mobiles, welches mit dem Bein verbunden ist.
- Erwartungs-Enttäuschungs-Paradigma: Während beim Erwartungs-Induktions-Paradigma durch Reizdarbietungen Erwartungen aufgebaut werden, nimmt diese experimentelle Beobachtungsform an, dass Erwartungen bereits bestehen. Als Gründe vermutet man frühere Lernerfahrungen oder genetische Ursachen. Werden die vorhandenen Erwartungen enttäuscht, so sollte dies in den Reaktionen des Säuglings deutlich werden. Beispielsweise kann man Kleinkindern ein physikalischen Gesetzmäßigkeiten widersprechendes Ereignis (z.B. ein aus eigenem Antrieb nach oben springender Stein) präsentieren und prüfen, ob Säuglinge anders darauf reagieren (z.B. dieses Ereignis länger betrachten) als auf ein physikalisch mögliches Ereignis.
- Paradigma der verzögerten Nachahmung: Beim Paradigma der verzögerten Nachahmung spielt das Modelllernen eine wesentliche Rolle. Kleinkindern wird eine Modellhandlung gezeigt. Beispielsweise werden aggressive oder prosoziale Verhaltensweisen an einer Spielpuppe vorgeführt. Beim späteren Spiel mit dieser Puppe kann geprüft werden, ob Kindern, denen aggressive Verhaltensweisen gezeigt wurden, häufiger selbst derartige Handlungen durchführen als Kinder in der prosozialen Gruppe. Ist dies der Fall, geht man von einer Speicherung dieser Verhaltensweisen aus. Dieses Paradigma setzt im Vergleich zu den zuvor dargestellten Paradigmen in stärkerem Maße motorische Reproduktionskompetenzen voraus.